Seeadler (Haliaeetus albicilla)

Innerhalb Europas besiedelt der Seeadler vor allem den Norden und Nordosten mit allein ca. 40% aller Brutpaare in den küstennahen Bereichen Norwegens.
In Deutschland findet man die Art als Brutvogel ebenfalls fast ausschließlich im Nordosten. Das liegt einerseits an der Verfügbarkeit und Größe geeigneter Lebensräume, andererseits daran, dass sich z.B. die Populationen Polens und des Baltikums nach Westen ausbreiten.
Der deutsche Brutbestand wächst stetig und inzwischen haben sich die ersten Paare an der Nordseeküste angesiedelt.

In Deutschland brüten derzeit mehr als 500 Paare, in ganz Europa sind es etwa 5500 Paare.

Das Brutgebiet des Seeadlers erstreckt sich außerhalb Europas in einem breiten Gürtel über die nördlichen Teile Asiens bis zur Pazifikküste. Kleine Bestände leben im Südwesten Grönlands und auf Island.

Der Seeadler ist der größte und schwerste Greifvogel Mittel- und Nordeuropas. In den südlichen Teilen des Kontinents übertreffen ihn hierin nur der Bartgeier, der Mönchsgeier und der Gänsegeier. Wie bei vielen Greifvogelarten sind auch beim Seeadler die Weibchen größer und schwerer als die Männchen.

Nahrung/Jagdweise:

Hinsichtlich der Wahl ihrer Nahrung sind Seeadler äußerst anpassungsfähig:
Sie jagen Fische, Vögel und Säugetiere, wobei Letztere aber nur einen geringen Anteil stellen und meist als Aas aufgenommen werden. Welche Arten vornehmlich bejagt werden, hängt sehr vom Angebot „vor Ort“ zur jeweiligen Jahreszeit ab. Im Winter, wenn viele Binnengewässer zugefroren sind, steigt z.B. der Anteil der Vogelbeute auf bis zu 80%. Zur Brutzeit stellen hingegen meist Fische den größten Anteil der Nahrung.

Seine Größe und Kraft ermöglichen dem Seeadler auch die Jagd auf große Tiere. Als Maximalbeute sind ihm z.B. Kranich, Schwarz- und Weißstorch, Hirsch- und Rentierkälber, Wildschweinfrischlinge und junge Robben nachgewiesen worden. Dies sind aber seltene Einzelfälle und dürften meist kranke oder geschwächte Beutetiere betroffen haben.
Typische Beutetiere sind z.B. Bläßrallen, verschieden Enten- und Taucherarten sowie Fische bis etwa 4 kg Gewicht. Mit schwereren Fischen kann der Seeadler nicht mehr vom Wasser auffliegen und schleppt sie dann schwimmend ans Ufer.

Aas ist bei Seeadlern eine sehr beliebte, weil leicht erreichbare Nahrung, die nicht kraftraubend und risikoreich erjagt werden muss. Vor allem im Herbst lassen Jäger die Innereien geschossener Tiere, den sogenannten Aufbruch, vor Ort liegen. Seeadler, die von diesen Fleischresten fressen, schlucken häufig Teile der verwendeten, bleihaltigen Munition mit herunter und vergiften sich so nach und nach mit diesem Schwermetall. Im Kapitel „Gefährdung/Feinde“ wird ausführlicher auf diese häufigste Todesursache bei Seeadlern eingegangen.

Bei der Jagd auf Schwarmvögel wie Enten und Gänse geht der Seeadler gern nach folgendem Muster vor: Er kommt in mittlerer Höhe gut sichtbar herbeigeflogen und scheucht dadurch häufig den Trupp auf. Dabei achtet er besonders auf evtl. kranke oder geschwächte Tiere, die in ihren Fluchtbewegungen behindert sind. Das kann sich mehrmals wiederholen, bis er schließlich gezielt ein bestimmtes Tier zu greifen versucht. Das geschieht häufig aus einem flachen, gut gedeckten Flug heraus, um das Überraschungsmoment auf seiner Seite zu haben. Verläuft die Jagd erfolglos, setzt er sich häufig längere Zeit ruhig auf eine Warte, die gute Übersicht bietet. Hierbei zieht er „träge“ und fast „gelangweilt“ wirkend dann und wann eine Feder glättend durch den Schnabel, behält aber seine Umgebung immer konzentriert im Blick, um im geeigneten Moment eine neue Jagd zu beginnen.
Fische werden vornehmlich im eher flachen, ruhigen Wasser erbeutet, in dem der Adler sie gut lokalisieren kann. Dazu fliegt er den letzten Teil der Strecke im Gleitflug heran und ergreift den Fisch schließlich mit vorgestreckten Fängen im „Vorbeiflug“. Steiles Stoßtauchen nach Art des Fischadlers ist nur selten zu beobachten.
Gern versuchen Seeadler auch, anderen Greifvögeln, Reihern, Kormoranen oder Möwen ihre Beute abzunehmen. Raben, Krähen, Bussarde oder Milane versuchen im Gegenzug aber ihrerseits, beim Adler zu schmarotzen: „Wer austeilen kann, sollte auch einstecken können!“

Lebensraum:

Eine ausgedehnte, offene Landschaft mit größeren Fließ- oder Stillgewässern und ruhigen Waldungen zur Horstanlage stellt den idealen Lebensraum des Seeadlers dar.
Flusstäler und -delten, größere Seen oder Teichgebiete sowie Meeresküsten (hier wird der Horst z.T. auch auf Felsen gebaut) erfüllen diese Bedingungen.
Normalerweise legen Seeadler ihre Horste im Randbereich möglichst ungestörter Wälder an.

Neuerdings nehmen aber Fälle zu, in denen auch kleine Gehölze oder sogar Baumreihen zur Brut genutzt wurden. Einige dieser Brutplätze lagen nur wenige hundert Meter von Straßen oder Ortschaften entfernt.

Beobachtung/Bestimmung:

Im Freiland gibt häufig bereits die immense Größe des Seeadlers einen Hinweis zu seiner Bestimmung. Manche großen Weibchen erreichen immerhin 2,5 m Flügelspannweite!
Die breiten, brettartigen Flügel der Art, die an den Spitzen tief aufgefingert sind, verstärken diesen Eindruck noch zusätzlich. Daneben bestimmen der kurze, keilförmige Schwanz sowie die im Flug weit nach vorne ragende Hals-/Kopfpartie die Silhouette. Seeadler sind erst nach etwa 5 Jahren ausgefärbt und alle Zwischenkleider zu beschreiben, würde den Rahmen dieser Website sprengen.

Ausgefärbte Altvögel sind sehr klar gefärbt: Ihr Körper ist recht einheitlich mittelbraun. Kopf, Hals und Brust heben sich davon durch ein deutlich helleres Beige ab. Sie zeigen einen reinweißen Schwanz und ihr klobiger Schnabel ist wie die Füße und die Iris der Augen hellgelb.

Das Jugendkleid ist insgesamt deutlich dunkler braun. Kopf, Hals und Brust heben sich nicht als heller gefärbt ab. Bei den meisten Jungadlern zeigt jede einzelne Schwanzfeder eine sehr typische Färbung: Ihr Zentrum ist weißlich, der Rand hingegen dunkelbraun, was etwas an einen Fensterrahmen erinnert. Der Schnabel ist noch weitgehend schwärzlich, nur seine Basis leuchtet hellgelb. Im Gegensatz zu Altvögeln haben junge Seeadler noch dunkle Augen, sie werden erst nach und nach heller. Ein wichtiges Kennzeichen junger und unausgefärbter Seeadler sind die weißlichen Achselfedern, die auf der Flügelunterseite am Körperansatz meist in Form eines kleinen dreieckigen Flecks zu finden sind. Keine andere Adlerart zeigt diese hellen Achselfedern.

Einhergehend mit seiner Größe sind auch die Flügelschläge des Seeadlers langsam und kraftvoll, werden aber recht flach ausgeführt. Nichtsdestotrotz ist sein aktiver Flug sehr fördernd.
Häufig sieht man Seeadler auch in der Thermik kreisen und das z.T. bis in solche Höhen, in denen man sie mit dem bloßen Auge überhaupt nicht mehr und mit dem Fernglas nur noch schwer erkennt.

Zugverhalten:

Adulte mitteleuropäische Seeadler sind in der Regel ganzjährig in der Nähe ihres Brutgebietes anzutreffen, während ihre Jungvögel zwischen Juli und Oktober das elterliche Revier verlassen (müssen) und in verschiedene Richtungen abziehen.

Viele Seeadler aus dem Norden Europas überwintern weiter südlich, z.T. also auch in unseren Breiten. Auch unter ihnen dominieren junge Individuen.
Praktisch alle europäischen Seeadler bleiben im Winter nördlich des Mittelmeers, sind also keine eigentlichen Langstreckenzieher.
Da Deutschland inzwischen über 500 Brutpaare beherbergt, kann man die Art hierzulande ganzjährig beobachten.

Stimme:

Seeadler sind sehr ruffreudig und besonders zur Balzzeit hört man häufig ihre lauten Rufreihen.
Die häufigste Variante klingt wie „Krick-rick-rick-rick-...“ (Männchen) bzw. „Kräck-räck-räck-räck-...“ (Weibchen) und erinnert z.T. stark an die Balzrufreihe des Schwarzspechts.
Andere Rufe sind weniger rau und klingen wie „Kli-kli-kli-kli-...“.
Ausgeflogene Jungvögel betteln mit durchdringenden „Piieh-piieh-...“-Rufen.

Fortpflanzung:

Als großer Greifvogel ist der Seeadler erst mit etwa 5 Jahren ausgefärbt. Die Geschlechtsreife erlangt er bereits 1-2 Jahre früher, doch haben solch junge Vögel in der Regel noch keinen bzw. nur schlechteren Bruterfolg. Bereits im Oktober/November führen viele Paare eine Herbstbalz durch, die der Anpaarung und ersten Horstbauhandlungen dient.
Die eigentliche Balzperiode liegt im Spätwinter/Vorfrühling etwa von Januar bis Februar. Dann wird entweder ein neuer Horst gebaut oder ein alter Horst mit frischem Nistmaterial aufgestockt.

Ältere, regelmäßig benutzte Horste können so immense Ausmaße von 3-5 m Höhe und 2,5 m Durchmesser erreichen und dann im Extremfall bis zu einer Tonne wiegen!
Als Horstbäume besonders beliebt sind alte, hohe Exemplare, die einen freien An- und Abflug gewährleisten und deshalb häufig am Rand von Wäldern oder auf Geländeerhebungen stehen.

An der Atlantikküste Norwegens stehen die meisten Horste auf Felsen und u.a. aus der Tundra sind auch Bodenhorste bekannt geworden.
Von Ende Februar bis Ende März legt das Seeadlerweibchen 1-3 Eier, die es anschließend etwa 38 Tage lang bebrütet. Nach dem Schlupf der Jungen ist zunächst allein das Männchen für die Nahrungsbeschaffung zuständig, während das Weibchen die ersten 4 Wochen bei den Jungen bleibt. Erst danach beteiligt es sich wieder an der Jagd.
Mit etwa 80-90 Tagen sind die jungen Seeadler flügge und verlassen den Horst. Sie werden im Folgenden noch einige Zeit von den Eltern betreut. Manche verlassen das elterliche Revier bereits im Juli, andere erst im Oktober/November.

Als Höchstalter freilebender Seeadler hat man anhand individuell erkennbarer Mauserfedern 36 Jahre ermittelt. In menschlicher Obhut (Greifvogelwarte) ist ein Weibchen sogar 50 Jahre alt geworden.

Ähnliche Arten:

In Mitteleuropa sind andere, ähnlich große Greifvogelarten nur sehr selten zu beobachten.

In den nordöstlichen Teilen Deutschlands, vor allem in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt, brütet spärlich der Schreiadler. Seine Silhouette ähnelt zwar etwas derjenigen des Seeadlers, mit 145-160 cm Flügelspannweite ist er allerdings deutlich kleiner. Zudem zeigt er niemals den weißen Schwanz adulter und ebenso wenig die hellen Achselflecke junger und immaturer Seeadler.

Die Alpen sind seit einiger Zeit nahezu flächendeckend vom ebenfalls sehr großen Steinadler besiedelt. Dieser hat im Gegensatz zum Seeadler schmalere Flügel und einen längeren und nicht keilförmigen Schwanz, der bei Altvögeln diffus gräulich gebändert und bei Jungvögeln zwar an der Basis weiß ist, dann aber eine breite schwarze Endbinde besitzt. Steinadler fliegen gern mit flach V-förmig angehobenen Flügeln und erinnern dadurch eher an eine übergroße Weihe (s. dort). Zudem wird man Seeadler kaum im Gebirge und Steinadler nur ausnahmsweise im norddeutschen Flachland antreffen.

Als Kuriosum und aus aktuellem Anlass möchte ich auch noch die sehr seltene Verwechslungsgefahr mit dem Gänsegeier erwähnen: Im Jahr 2006 (und schwächer ausgeprägt auch 2007) fand ein bisher beispielloser Einflug vermutlich südwesteuropäischer Gänsegeier nach Deutschland und anderen Ländern Mitteleuropas statt, im Zuge dessen einige Beobachtungen dieser Geierart gemeldet wurden, die sich z.T. im Nachhinein als Sichtungen von Seeadlern herausstellten.

Ordnung:

Ordnung: Accipitriformes (Greifvögel)
Familie : Accipitridae (Habichtverwandte)
Gattung : Haliaeetus (Seeadler)
Art : albicilla (Seeadler)

Gefährdung/Feinde:

Ausgewachsene Seeadler haben neben dem Menschen praktisch keine natürlichen Feinde. Gelegentlich kann es bei Kämpfen mit Artgenossen um Horst oder Revier zu Todesfällen kommen.

Im Nestlingsalter können vor allem Habichte und Kolkraben für einige Wochen eine ernste Bedrohung darstellen.

Aus dem Elbholz im niedersächsischen Wendland ist ein Fall bekannt geworden, in dem ein Waschbär in der Nacht den Horstbaum erklettert und die jungen Adler getötet hatte.
Wie einige andere Greifvogelarten auch, hatte der Seeadler als Endglied der Nahrungskette vor allem in den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts stark unter der ungehemmten Anwendung von Pflanzenschutzmitteln, vor allem DDT, zu leiden. Deren Inhaltsstoffe führten zu dünneren Eischalen, so dass viele Gelege beim Bebrüten zerbrachen. Auch die Belastung mit Quecksilber war z.T. bedrohlich hoch. Nach dem Verbot der Anwendung dieser Mittel haben sich die Belastungen und die Bestände wieder recht gut erholen können.
Auch die direkte Verfolgung (vorsätzliche Vergiftung, Abschuss, illegales Aushorsten von Jungvögeln und Sammeln der Eier) durch den Menschen hat glücklicherweise stark nachgelassen, wenngleich einzelne Naturfotografen und „Vogelfreunde“ nach wie vor zu nah an die Horste vordringen und die Adler damit zum Brutabbruch treiben.

Die größten Gefährdungen für die Art gehen heute von Anflug an Züge, Kraftfahrzeuge, Stromleitungen und Windkraftanlagen sowie von Bleivergiftung aus.
Letztere holen sich die Adler bei der regelmäßigen Aufnahme von durch Jäger angeschossenen Tieren oder den Verzehr des sogenannten „Aufbruchs“, d.h. den Innereien erlegter Tiere, die am Abschussort zurückgelassen werden. Man hat herausgefunden, dass nicht nur Bleischrot, sondern auch Blei-Kugelgeschosse im Körper des erlegten Tieres aufsplittern und dadurch Partikel dieses giftigen Schwermetalls weit im Gewebe verstreut werden.

Einige Bundesländer haben die Verwendung von bleihaltiger Munition bereits verboten und auch bei der Jägerschaft setzt ein Umdenken hin zu Alternativ-Geschossen ohne Blei ein.

Die Rückkehr der Seeadler



Weiterer Buchtipp zum Seeadler